Dabei inszeniere ich zwar präzise, lasse aber bewusst

Raum für Reaktionen, die vom Material und bestimmten

Verbindungen ausgehen. Unwägbarkeiten und Eventuali­

täten erzeugen Spannung und ergänzen die Komposition.

Es ist eine Art neuzeitliche Alchemie.

Das klingt mystisch. Es steckt aber sicher auch eine

Menge Know­how dahinter.

Flavie Audi

Die Grundvoraussetzung, um authentisch

und innovativ mit einem Werkstoff arbeiten zu können, ist

natürlich erstmal, ihn extrem gut zu kennen. Man möchte

das Material ja nicht nur gestalten, sondern auch mit

ihm denken und spekulieren. Nach meinem Architektur­

studium habe ich einen Master am Royal College of Art

gemacht, im Fachbereich Glas und Keramik, und dort

sehr viel über Glas und seine Verarbeitung gelernt. Unter

anderem, wie gewinnbringend es ist, traditionelle, kunst­

handwerkliche Techniken mit neuen Technologien zu

verbinden. Was ich an manuellen Prozessen schätze ist

ihre Direktheit. Das Gehirn arbeitet anders, freier, intuiti­

ver, als mit digitalen Mitteln. Ich bin aber keine Nostalgi­

kerin, sondern nutze gern 3D­Modellierungssoftware,

Rapid­Prototyping­Verfahren oder ähnliche digitale Hilfs­

mittel. Was mich wahnsinnig interessiert und inspiriert,

ist die Herstellung von synthetischen Steinen. Da haben

die Technologien heute ein so hohes Level erreicht, dass

es beinahe unmöglich ist, das Echte vom Laborprodukt

zu unterscheiden. Ich mag es, wenn meine Objekte

natürlich erscheinen. Ihre volle Kraft entfalten sie aber

vor allem, weil sie an der Schwelle zwischen dem Organi­

schen und Synthetischen stehen. Die Kombination ver­

schiedener Techniken und Elemente lässt eben die span­

nendsten Ästhetiken zu.

Welche Elemente und Techniken hast du im Fall der

„Fluid Rocks“ kombiniert?

Flavie Audi

Die „Fluid Rocks“ bestehen aus einer Mi­

schung aus geblasenem Glas, Farbpigmenten und Halb­

edelmetallen, wie Gold und Silber. Wenn diese Elemente

eine Verbindung eingehen, lösen sie chemische Reak­

tionen aus, die nur teilweise steuerbar sind. Die Objekte

selbst forme ich ohne Matritze, modelliere das Glas mit

der Hand, solange es warm ist. So entstehen einzigartige

Formen, die nicht reproduzierbar sind. Die haptische

Erfahrung spielt eine entscheidende Rolle. Bei anderen

Arbeiten habe ich zum Beispiel CNC­Maschinen und

Gießformen benutzt, um digital erzeugte Texturen herzu­

stellen. Manchmal arbeite ich auch mit Schichtungen

oder drucke direkt aufs Material. Ich ermuntere Besucher

meiner Ausstellungen, die Oberflächen anzufassen, damit

sie ihre Dynamik spüren.

Visuell wirken deine Objekte vor allem durch ihre irisieren­

den Farben so lebendig ...

Flavie Audi

Das Schillern erinnert daran, dass auf der

atomaren Ebene nichts statisch ist. Ich liebe es, Farben

so zu manipulieren, dass sie formlos und fließend er­

scheinen, unbegrenzt und unmittelbar. Die Zeit, in der wir

leben, ist selbst irisierend, oder auch oszillierend: Wir

schwingen ständig zwischen den Welten, der digitalen und

der analogen.

Du hast Glas mal als Vermittler zwischen diesen beiden

Welten beschrieben und meinst damit die gläsernen

Bildschirme, an denen wir heute so viel Zeit verbringen.

Kannst du die Idee kurz erklären?

Flavie Audi

Der Gedanke geht auf die Materialeigen­

schaften zurück, die ich vorhin erwähnt habe – zum

Beispiel auf seine Durchsichtigkeit und die Tendenz,

an­ und abwesend zugleich zu erscheinen. Glas symboli­

siert für mich eine gewisse Dematerialisierung. Mit ihren

organischen Formen und taktilen Oberflächen stellen

meine Objekte aber gleichzeitig eine Art Gegenentwurf

dar. Sie sind eben nicht so aalglatt wie unsere Screens.

Sie wollen angefasst werden ...

It sounds mystical. But there is no doubt a lot of

know­how behind it.

Flavie Audi

The basic prerequisite in order to be able to

work authentically and innovatively with a material is

naturally that you are very familiar with it. You don’t just

want to design the material but also think and speculate

with it. After I completed my degree in architecture, I did

a Master’s degree in glass and ceramics at the Royal

College of Art and learned a great deal about glass and

how to work with it. Amongst other things, how profitable

it is to combine traditional craft techniques with new

technologies. What I appreciate about manual processes

is their directness. The brain works differently, freer and

more intuitively than with digital media. I am not nostalgic,

but like to use 3D modelling software, rapid prototyping

processes or similar digital resources. What really inter­

ests and inspires me is the production of synthetic stones.

Technologies have reached such a high level today that

it is almost impossible to distinguish between the real

thing and a laboratory product. I like it when my objects

have a natural appearance. But they exert their full impact

above all because they are on the threshold between

organic and synthetic. The combination of different

techniques and elements allows for the most exciting

aesthetics.

Which elements and techniques did you combine in the

case of Fluid Rocks?

Flavie Audi

The Fluid Rocks consist of a mixture of

blown glass, colour pigments and semi­precious metals,

such as gold and silver. When these elements are com­

bined, they trigger chemical reactions that can only

partially be controlled. I form the objects themselves

without a mould and shape the glass by hand while it is

still warm. This creates unique shapes that cannot be

reproduced. The tactile experience plays a crucial role.

For other work, for example, I use CNC machines and

moulds in order to produce digitally generated textures.

Sometimes I also work with layers or print directly onto the

material. I encourage people visiting my exhibitions to

touch the surfaces so that they feel their dynamics.

Their iridescent colours give your objects such a vivid

visual effect...

Flavie Audi

The iridescence draws attention to the fact

that nothing is static at the atomic level. I love being

able to manipulate colours so that they seem shapeless

and appear to float, directly and without limits. The times

in which we live are themselves iridescent or also oscillat­

ing: we constantly oscillate between the analogue and

digital worlds.

FLAVIE AUDI – FLUID ROCKS

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FLAVIE AUDI – FLUID ROCKS

„MIT GLAS ZU

GESTALTEN IST WIE

DREIDIMENSIONALES

ZEICHNEN.“

“CREATING DESIGNS

WITH GLASS IS LIKE

THREE­DIMENSIONAL

DRAWING”